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Ich verstehe die Menschen im Büro nicht!

Die Moral in den Büros unseres Landes nimmt erschreckend rapide ab. Immer weniger Menschen machen blau, immer weniger Menschen belügen ihren Chef oder trödeln bei der Arbeit. Kaum jemand weiß noch, wie man bei einem Höchstmaß an Unkollegialität das vollkommene Bild des trotz Überbelastung hilfsbereiten Mitarbeiters repräsentiert. Dies führt inzwischen so weit, dass viele Menschen anstrengende Arbeit als etwas Positives und Mitmenschlichkeit als etwas Befriedigendes bezeichnen. Jahrzehnte der Verfeinerung wichtiger Verhaltensregeln im Büro drohen in Vergessenheit zu geraten. Diesem Vergessen möchte ich sie entreißen, bevor es zu spät ist. Jeder, der die folgenden Regeln liest und beherzigt, wird anschließend ein angenehmeres Büroleben führen und trotzdem in den Augen seines Chefs ein mustergültiges Exemplar des Untergebenen darstellen:

Die erste Regel betrifft die Beziehungen. Sie müssen erkennen, dass niemand ohne Beziehungen auskommt. Leute, die eine möglichst große Schnittmenge zum freizeitlichen Sozialbereich des Chefs herstellen und ihm in der Arbeit so deutlich wie möglich zu erkennen geben, dass sie seiner Meinung sind, haben dies gut erkannt. Aber natürlich zählt zu den Spielformen der Beziehungspflege nicht nur diese doch etwas grobe Form der Anbiederung, auch Kollegen wollen für sich gewonnen werden. Hier muss man strategisch planen, welcher Kollege künftig mal wichtig sein könnte. Denn in dem Maße, in dem man die Sympathien eines Kollegen gewinnt, verliert man die Sympathien zweier anderer. Eine elementare Büro-Arithmetik. Wenn Sie gelernt haben, Beziehungen nicht nach Ihren Sympathien und Antipathien auszurichten, haben Sie schon eine gesunde Basis für Ihr angenehmes Büroleben geschaffen.

Egal, um wen es geht, lachen Sie bitte herzlich mit bei Gehässigkeiten auf Kosten von Kollegen, die sich gerade nicht im Zimmer befinden. Dies fällt stets unter den Gesichtspunkt der ausgleichenden Gerechtigkeit, denn eben diese Kollegen werden zu mehr als siebzig Prozent Wahrscheinlichkeit gerade in diesem Moment in einem anderen Bürozimmer über Sie lachen. Reinigen Sie also ohne Reue durch Schadenfreude Ihre Seele.

Einer der größten Fehler, den Sie machen können, für den sogar sehr viele Menschen fälschlicherweise auch noch Lob erwarten, ist es, Ihren Tisch aufzuräumen! Wie viele Gehaltserhöhungen dies schon gekostet hat, wie viele Menschen unwissentlich dadurch in der Gunst des Chefs gesunken sind, kann nur geschätzt werden, die Dunkelziffer ist groß. Denken Sie immer daran: Wer einen aufgeräumten Tisch besitzt, hat eindeutig zu wenig Arbeit. Lassen Sie also stets ein wenig Unordnung, sonst gelten Sie als Faulpelz, als Made im Speck. Wollen Sie das?

Der beste unordentliche Tisch nützt jedoch nichts, wenn Sie, um zu einem Kollegen zu gehen, einfach aufstehen und auf den Gang treten. Stellen Sie sich das bitte bildlich vor, versetzen Sie sich gedanklich in diese Situation: Sie sind von Ihrem Tisch aufgestanden, gehen auf dem Gang entlang. Ihnen kommt Herr K. entgegen, der zwei Ausdrucke vom Laserdrucker in der Hand hält und Sie leicht irritiert grüßt. Sie erkennen seine Irritation und fragen sich, ob Sie ein Hemdknopf offen oder ob die Wimperntusche vorhin verlaufen ist, als Sie herzhaft über den zweideutigen Witz eines Kollegen gelacht haben. Sie erhalten keine Gelegenheit, dies zu überprüfen, denn da kommt schon Frau M. von der Vorstandsitzung, zupft sich mit zwei Fingern die lachsfarbene Bluse hinter den an die Brust gedrückten Aktenordnern gerade, guckt sie fast schon verärgert über die Brille an. Da dämmert es Ihnen. Kommen Sie darauf? Ausdrucke, Blätter, Ordner um Sie herum. Und Sie laufen mit leeren Händen herum! Sind Sie des Wahnsinns oder wollen Sie unbedingt, dass jeder denkt, Sie rennen schon zum dritten Mal untätig zum Kaffeeautomaten? Sie sind gut beraten, beim nächsten Mal etwas bei sich tragen, und seien es nur ein Blatt Papier und ein Kugelschreiber. Legen Sie notfalls einen Stapel Papiere auf Ihrem Schreibtisch parat, den Sie beim Verlassen des Zimmers in die Hand nehmen können. Achten Sie aber bitte darauf, dass nicht immer das selbe Blatt oben liegt. Man weiß nie, wie aufmerksam die Kollegen sind. Der bereitliegende Stapel sorgt gleichzeitig dafür, dass der Tisch nicht zu aufgeräumt aussieht. Zwei Fliegen mit einer Klappe! Sehen Sie, wie einfach das ist?

Was für Tisch und Gang gilt, sollte auch für den PC gelten. Öffnen Sie daher auf Ihrem Monitor möglichst viele Fenster gleichzeitig. Es kann nie schaden, dabei auch immer den Windows-Explorer offen zu haben, das sieht nach Recherche aus. Unnötig zu erwähnen, dass der Internet Explorer nicht offen sein darf. Wir wissen alle, wonach das aussähe. Ansonsten können Sie jedes Programm Ihrer Wahl nehmen, solange nur der Monitor gut gefüllt ist. Auch hier kämen Sie sonst in den Verdacht, nichts zu tun zu haben, Sie kennen das Prinzip nun sicher schon. Üben Sie die Unordnung ein wenig, bald wird Sie Ihnen leicht und wie gewohnt von der Hand gehen. Sie wird Ihnen sogar zur unbewussten Angewohnheit werden.

Da wir vom Monitor sprechen: Von Bedeutung ist auch das Hintergrundbild auf Ihrem PC! Dies gilt allerdings nur, wenn Sie in einer Firma arbeiten, die es Ihnen noch erlaubt, ein individuelles Hintergrundbild zu haben. Dann aber nutzen Sie diese Chance. Dabei gelten ganz einfache Regeln, die Sie leicht befolgen können: Haben Sie als Hintergrund ein gewöhnliches Bild von Windows, sieht man Sie als strebsamen Menschen, der sich nicht durch Schnickschnack von seiner Arbeit ablenken lässt. Es könnte aber auch leicht passieren, dass man Sie verdächtigt, nicht mit dem Betriebssystem umgehen zu können. Etwas Exklusivität schadet daher nie. Doch Vorsicht: Ist Ihr Bild zu auffallend, lässt es unten am Rand womöglich noch eine Internetadresse erkennen, so bedeutet dies in den Augen der anderen, dass Sie zu viele Gedanken an Ihre Hobbys vergeuden und das Bild, Gott bewahre, während der Arbeitszeit heruntergeladen haben. Dieser Schuss ist dann nach hinten losgegangen. Die Faustregel: Das Bild eine Idee konservativer wählen. Studieren Sie Anzeigen in aktuellen Magazinen, um ein Gefühl für biederen Geschmack zu bekommen.

Geht Ihr Chef oder Ihre Chefin öfter in die Kantine? Dann achten Sie darauf, mit welchen Kollegen Sie dort beim Essen gesehen werden. Denken Sie daran, dass es nicht um persönliche Sympathien geht. Diesen Fehler machen vor allem Anfänger häufig. Auch hier müssen Sie strategisch denken: Wenn Sie regelmäßig mit verschiedenen Kollegen des anderen Geschlechts essen gehen, gelten Sie als Draufgänger. Hüten Sie sich aber auch vor dem anderen Extrem und gehen Sie nicht immer nur mit einem Kollegen des anderen Geschlechts in die Kantine. Dann heißt es, dass Sie beide es miteinander tun. Solches Gerede lohnt sich bestenfalls, wenn Sie es auch wirklich miteinander tun. Anderenfalls haben Sie herzlich wenig davon. Gehen Sie also hauptsächlich mit Kollegen des gleichen Geschlechts in die Kantine und denken Sie daran, dass man deren Leistungen mit Ihren Leistungen gleichsetzen wird. Essen Sie also nie mit dem Looser der Abteilung. Schrecken Sie jetzt die vielen kleinen Fettnäpfchen ab, die in der Kantine auf Sie lauern? Glauben Sie aber bitte nicht, es sei das Beste, gar nicht in die Kantine zu gehen. Dann sind Sie nämlich ein Einzelgänger, der sich absondert. Zugegeben, Sie haben es nicht leicht. Doch wie schon oben erwähnt, werden Ihnen diese Regeln mit der Zeit in Fleisch und Blut übergehen.

Wir sind beinahe am Ende. Eine letzte Sache noch, sie betrifft sowohl das Thema Mittagspause als auch Ihr Verhalten bei der "Arbeit": Seien Sie um Himmels willen nicht ständig gut gelaunt. Gutgelaunte Menschen sind nun mal nicht ausgelastet, sie können es nicht sein. Außerdem sind sie offensichtlich harmoniebedürftig und daher leicht zu übertölpeln. Überhaupt, wer ständig im Büro lächelt und grüßt, macht sich von vorneherein verdächtig.

Sie haben es geschafft. Lesen Sie die Regeln nun bitte noch einmal in Ruhe durch, machen Sie sich Notizen. Übereilen Sie es nicht, setzen Sie eine Regel nach der anderen um. Sie müssen dabei nicht unbedingt mit der ersten beginnen. Für den Anfang kann es reichen, einen unordentlichen Schreibtisch zu haben. Wenn Sie langsam vorgehen, werden auch Menschen, die Sie kennen, Sie nur schwer durchschauen. Schließlich soll es tatsächlich noch Menschen geben, die wirklich hart arbeiten. Machen Sie sich bitte keine Gedanken, dass Sie indirekt diese Menschen ausnützen. Sie sind selber an Ihrem Unglück schuld. Nach einer gewissen Zeit, wenn die Erfolge sich einstellen, werden auch Sie nicht mehr verstehen, wie es passieren konnte, dass die Arbeitsmoral in unserem Land nach viel versprechenden Jahren des Aufschwungs so verkommen konnte. Helfen Sie also mit, gemeinsam schaffen wir den Umschwung!

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