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Die Sache mit den Äpfeln
Wenn ich an Bea
denke, denke ich an Äpfel. Grüne Äpfel, drei Stück. Um genau zu
sein. Die drei Äpfel aus dem Frühling, als Bea und ich dicke Freunde
waren. Vielleicht sogar etwas mehr als dicke Freunde, denn Bea war das erste Mädchen überhaupt, das ich geküsst
habe. Man könnte fast sagen, dass ich damals sehr verknallt in sie
war. Dieser erste Kuss war übrigens
nicht gerade eine Glanzleistung von mir, aber dafür, dass ich all
meinen Mut für ihn zusammen nehmen musste, war er ganz okay. Fand
Bea auch, glaube ich, denn sie wackelte, wie sie das immer gerne
tat, mit dem Zeigefinger und sagte: "Nicht schlecht, der ist
ausbaufähig!" Das ist doch schließlich ein Lob, oder? Doch
ich will ja eigentlich gar nicht von dem Kuss erzählen, sondern von
den grünen Äpfeln. Jedes Mal nämlich, wenn ich einen ganz besonders schönen,
grünen Apfel in der Hand halte, mit den Fingern über die glatte Schale
streiche und mir das Wasser im Mund zusammenläuft, muss ich
wieder an Bea und an diesen einen Frühlingstag denken.
Es war einer dieser
schönen Frühlingstage, wo man das Glück einfach mit der Luft
einatmen kann und die Sonne dich von jedem Grashalm und jedem Stein
anlacht. Bea und ich gingen Hand in Hand durch die Stadt. Wir rochen
das nahe Meer, ganz deutlich, denn
das Meer wusste, dass wir heute eine
Verabredung mit ihm hatten, und wartete schon genauso ungeduldig auf
uns wie wir aufs Meer.
Doch vor dem Möwengeschrei und
dem Wassergemurmel wollten wir noch ein bisschen
Schaufensterbummeln gehen. Bea und ich trugen
beide ein gelbes T-Shirt über einer kurzen Jeans-Hose -
unsere Freundschaftskleidung. Auch
unsere Gedanken gingen Hand in Hand. Da war es nicht
weiter verwunderlich, dass uns zur selben Zeit der Magen knurrte.
Wir kamen gerade aus dem Buchladen, in dem wir schon Stammkunden
waren. Jede Woche kamen wir her, um uns jeder ein
neues Buch auszusuchen.
Ich hielt mein Taschenbuch
der Woche in der Hand, als mein Magen nicht mehr zu überhören war und Bea
mit erhobenen Zeigefinger sagte: "Wollen
wir uns nicht in dem Obstladen nebenan was holen, Flo?"
Wir kramten die
letzten Münzen zusammen, die uns nach dem Bucheinkauf noch übriggeblieben
waren, und gingen hinein. Das große Angebot des Händlers hätte
uns die Wahl schwer machen können, aber wir deuteten beide sehr
schnell auf die Äpfel. Bei Äpfel wurden wir beide schwach. Und
diese heute waren besonders schön: Ich schluckte und hatte das
große Bedürfnis, auf der Stelle hineinzubeißen. Bea kannte mich
schon: "Reiß dich zusammen,
Flo, bis wir am Strand sind!" - "Ja,
Meister."
Unser Geld reichte für
drei Stück, und als wir wieder auf die Fußgängerzone
hinaustraten, schlenkerte ich zufrieden mit der Obsttüte. Ich
tastete nach Beas Hand, unsere Finger fanden sich, und zügigen
Schritts zogen wir die Straße hinunter in Richtung Strand. Vergnügt schaute ich in
die Schaufenster mit ihren Klamotten und Schuhen und Schlüsselanhängern
in Form von Ankern. Ich dachte gerade daran, dass sich so ein Anker-Anhänger gut an meinem Gürtel
machen würde, als Bea mit der Hand ruckte. Sie war stehengeblieben
und schaute einem Pärchen nach.
Zwischen den geschäftig Einkaufenden und den gemütlich
Schlendernden ging das Pärchen, Mann und Frau, in abgetragenen und
für diesen sonnigen Tag viel zu warmen Klamotten
die Einkaufszeile hinunter. Die Frau sah
so aus, als
würde sie trotz ihrer dicken Jacke frieren, denn sie hatte die Arme
vor ihrem Bauch verschränkt. Der Mann hielt sie an sich gedrückt,
und beide gingen nur langsam. Ihre Augen blickten auf das
Pflaster. Ab und zu sah der Mann auf und schaute den
Entgegenkommenden ins Gesicht. Bea überlegte.
"Was hast du
vor?" fragte ich ein wenig ungeduldig, denn ich wollte zum Strand und
konnte es kaum erwarten, die Äpfel zu essen.
"Sie sehen
hungrig aus", sagte Bea.
"Schön möglich",
war alles, was mir dazu einfiel. "Wollen wir
weitergehen?"
"Ich habe nur
noch einen Euro, der nützt ihnen nicht viel", sagte sie,
als hätte sie mich nicht gehört.
"Na und, die würden
das Geld doch eh nur vertrinken", maulte ich.
"Ganz bestimmt
haben die Hunger. Schau' sie dir doch mal an!" Bea kaute auf
ihrem Zeigefinger. "Gib' mir bitte
die Äpfel, Flo."
Ich wollte die Tüte
öffnen, damit Bea zwei Stück
herausnehmen konnte, da berührte sie meine Hand: "Lass sie ruhig zu, Flo", sagte
sie, nahm die ganze Tüte und lief dem Pärchen hinterher. Mir wurde
klar, dass ich heute auf meine Äpfel verzichten musste. Dabei hatte ich doch den säuerlichen
Geschmack schon auf der Zunge gespürt! Am liebsten wäre
ich Bea nachgelaufen und hätte gesagt, sie solle doch wenigstens
einen übriglassen. Den hätten wir uns dann nachher teilen können.
Zu spät. Sie hatte
das Paar schon erreicht und ihnen die Tüte in die Hand gedrückt.
Überrascht schaute der Mann sie mit einem fragenden Blick an. Die
Augen der Frau kamen hatten sich am Obst festgebissen, schon hatte sie
die Tüte aufgerissen und gierig in einen Apfel hineingebissen. Ich
konnte nicht hören, was sie zu Bea sagten, aber es war klar, dass
ihr letztes Essen einige Zeit zurücklag. Bea nickte einmal kurz und
kam wieder zu mir. Sie lächelte nur. "Ich hatte recht. Sie waren
hungrig!"
Ich konnte nichts
sagen. Ich konnte nur an die Blicke des Pärchens denken, mit denen
sie die Äpfel angeguckt hatten. Zwei einfach, läppische Äpfel.
Bea und ich sind dann
Hand
in Hand an den Strand gegangen, wie wie es vorgehabt hatten. Wir
haben dort noch einen schönen Nachmittag verbracht - ohne Essen.
Das gab es abends zu Hause. Wir haben
am Strand in unserem
Buch gelesen und kaum über das Pärchen geredet.
Die Freundschaft von Bea und mir
hielt nicht länger als dieses eine Jahr, dann gingen unsere
Gedanken wieder ihre eigenen Wege. Aber jedes Mal, wenn ich einen
besonders schönen Apfel in der Hand halte, kurz vor
dem Reinbeißen, denke ich an Bea und die Sache mit den grünen Äpfeln
zurück. Und in diesen Augenblicken habe ich sie immer noch
furchtbar gern!
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